Im oberfränkischen Gundelsheim belebt eine neue Bücherei seit letztem Sommer die Ortsmitte. Durch Um- und Neubau entstand aus einem ortstypischen Bauernhaus mit Stall ein Gemeindezentrum, das als Ort der Begegnung und Weiterbildung dient, und sich in seiner Erscheinung an das traditionelle Ensemble Haus-Stall-Scheune anlehnt.

Aus dem ortstypischen Bauernhaus mit Stall aus dem 19. Jahrhundert sollte durch Umbau und einen Neubau ein vielseitiges Zentrum für die Gemeinde entstehen, eine Bücherei zur Belebung der Ortsmitte. Foto: Cornelia Hellstern

Als beispielhaft kann man das Projekt Bücherei Gundelsheim bezeichnen, von der Auslobung des Ideenwettbewerbs bis hin zur Umsetzung. Initiiert von Bürgermeister Jonas Merzbacher sollte gleichermaßen ein Kulturort und eine Integrationsschmiede geschaffen werden, die sich einerseits harmonisch ins Stadtbild einfügt, andererseits die zeitgemäße Architektur widerspiegelt und flexibel nutzbar ist. Die ortsansässigen Schlicht Lamprecht Architekten konnten den Wettbewerb mit ihrem „Haus im Haus“ Konzept für sich entscheiden unter Einsatz lokaler Materialien und Handwerksbetriebe.

Foto: Stefan Meyer

Traditionelle Struktur

Ausgangspunkt war ein typisches Bauernhaus mit Stall aus dem 19. Jahrhundert, das durch eine Bücherei und ein vielseitiges Zentrum für die Gemeinde zur Belebung der Ortsmitte beitragen sollte. „Die Grundidee basiert auf unserer ersten Assoziation vor Ort, auf dem vertrauten Dreiklang eines typisch fränkischen Bauernhauses: Haus – Stall – Scheune. Diese gewohnten Bilder wollten wir aufnehmen und mit authentischen und natürlichen Materialien wiederherstellen“, erklären Stefan Schlicht und Christoph Lamprecht ihren Entwurf. Als roter Faden zieht sich das „Haus im Haus“ sowohl als konstruktives, als auch gestalterisches Prinzip durch. Ziel war es, die bestehende Struktur sichtbar zu belassen und neue Nutzungen mit zeitgemäßen Materialien einzufügen. „Mit der Thermoesche für Fassade und Dach ist es uns gelungen, dass der Bau zeitlos wirkt. Als stünde diese Scheune schon immer hier.“ Die historische Dreiteiligkeit sollte wieder aufgenommen werden, jedoch nicht wie üblich hintereinander liegend, sondern als Doppelgiebelbau parallel zum ehemaligen Wohnhaus. Dadurch konnte genügend Raum für die geplante Wohnbebauung zur Nachverdichtung erhalten bleiben und gleichzeitig dem zur Straße liegenden Platz ein räumlicher Bezug gegeben werden.

Foto: Stefan Meyer

 

Scheunentore

Der Eingang der Bücherei wurde durch große Eingangstüren akzentuiert, die an die typisch fränkischen Scheunen mit hohem Mittelteil und Durchfahrtstoren erinnern. „Der neue Doppelgiebelbau verbindet alt und neu durch die räumlichen Zusammenhänge. Er schiebt sich dabei über den alten Stall, der Ausgangspunkt für das „Haus in Haus“-Thema ist.“ Im Inneren entstehen spannende Raumbezüge durch die Verwebung von Bestand und Neubau. Durch die Verdichtung der Lamellenverkleidung bleibt das „kleine Haus“ an der Fassade ablesbar, in dem sich der Servicebereich der Bücherei befindet.Wie so oft erzeugt das Bauen im Bestand nicht nur spannende Raumbezüge, sondern stellt auch vor plötzliche Überraschungen. „Auf der Baustelle haben wir festgestellt, dass das bestehende Wohnhaus zum Hof nicht gegründet war, dem Haus sozusagen das Fundament fehlte.“ erzählen die Architekten. Mithilfe des Tragwerksplaners konnte rasch eine Lösung erarbeitet und von der Rohbaufirma wieder auf sichere Füße gestellt werden.

Aus dem ortstypischen Bauernhaus mit Stall aus dem 19. Jahrhundert sollte durch Umbau und einen Neubau ein vielseitiges Zentrum für die Gemeinde entstehen, eine Bücherei zur Belebung der Ortsmitte.

Statische Funktion

Die Tragstruktur der Scheunenerweiterung wurde aus einer Doppelrahmenkonstruktion aus Brettschichtholzbindern gebildet, die Dachrahmen der Satteldächer lasten auf gemeinsamen Mittelstützen. Alle sichtbaren Holzbauteile wurden als unbehandeltes Brettschichtholz oder Konstruktionsvollholz eingebaut. Die Konstruktion des Doppelgiebels wurde so über dem bestehenden Stall errichtet, dass die äußeren Fußpunkte an der östlichen Bestands-Außenwand des Stalls zum Liegen kommen. Ein neu errichteter Überzug aus Stahlbeton nimmt die Vertikal- und Horizontallasten aus den Doppelgiebeln auf und leitet sie über eine auf die bestehende preußische Kappendecke aufbetonierte Deckenscheibe weiter, die selbsttragend ausgebildet ist. Die Kappendecke ist mit einer teilweisen Öffnung versehen, um sowohl Konstruktion als auch visuelle Beziehungen des Haus-im-Haus-Prinzips erlebbar zu machen. Darüber befindet sich eine Galerie als einzige zweite Ebene im Gebäude und Rückzugsort.

Foto: Stefan Meyer

 

Wohngebäude

Vom alten Stall aus führt der Weg ins ehemalige Wohnhaus. Auch hier empfängt das kleine Haus die jüngsten Besucherinnen und übernimmt tragende Funktion. Die Stahlrahmenkonstruktion wirkt als aussteifender Kern im Bestandsgebäude. Sämtliches Mobiliar in allen Bereichen ist beweglich, um flexible Nutzungen der Räume zuzulassen – von Versammlungen, Lesungen bis hin zum Bilderbuchkino.Sensibel wurde auf Tradition und Umgebung eingegangen, wenig überrascht es daher, dass großer Wert auf natürliche Materialien gelegt wurde. Ein Terrazzoboden, der an die Lehmböden in Scheunen erinnert, geschlämmte Wände, wie man sie von früher kennt, roh belassene Fichte für Einbauten und das sichtbare Holztragwerk. „Licht, Leichtigkeit, Atmosphäre und der Geruch sollen für den Besucher, neben dem eigentlichen Zweck der Buchausleihe, zu einem subtilen Element der Wahrnehmung werden.“ Kein Detail soll den Raumeindruck stören. Dementsprechend waren sichtbare Lüftungsleitungen undenkbar. „Zusammen wurde ein Konzept entwickelt, die Zuluftleitungen als Schächte in die Bodenplatte zu integrieren. Die „Haus in Haus“-Konstruktion konnte genutzt werden, um Querverzüge der Lüftungsanlage zu bewerkstelligen und die gesamte Heizzentrale in einen Einbauschrank nicht wahrnehmbar unterzubringen.“

Regionales Handwerk

Dass die Umsetzung so reibungsfrei klappte, ist der Zusammenarbeit mit regionalen Handwerksbetrieben zu verdanken. „Wir als Architekten und unsere Tragwerksplaner hatten Ideen und Vorstellungen hinsichtlich der Konstruktion und der Ausführungsdetails. Ohne einen Handwerksbetrieb, der diesen Weg gemeinsamen mit beschreitet sind keine schönen Projekte mit durchgängigen Details möglich.“ so Schlicht Lamprecht über die gegenseitige Inspiration mit der regional ansässigen Holzbaufirma.  Die Freude über die neue Bücherei in der Bevölkerung ist groß und trotz Eröffnung im Corona-Jahr wurde sie bereits gut angenommen und genutzt.Mit ihrem Entwurf für den Neubau der Bücherei gelingt es Schlicht Lamprecht Architekten sich auf behutsame Weise perfekt ins Ortsbild einzufügen und mit zeitgemäßer Erscheinung die Geschichte fortzuschreiben.

Daten & Fakten

  • Bauherr*in & Grundeigentümer*in: Gemeinde Gundelsheim
  • Architektur: Schlicht Lamprecht Architekten, Schweinfurt
  • Baumeister*in: Raab Bau GmbH, Ebensfeld (Rohbau) / Zimmerei Bauer, Burgkunstadt
  • Statik: Tragraum Ingenieure, Bamberg
  • Haustechnik: Ecoplan Projekt GmbH, Bamberg
  • Bauphysik: Basic GmbH, Gundelsheim
  • Planungsbeginn: 2016 (Einladungswettbewerb)
  • Baubeginn: 2018
  • Fertigstellung: 2020
  • Gesamtkosten (netto): 2,11 Mio. €
  • Grundstücksfläche: 2.480 m²
  • Haustechnikkonzept: Gas-Brennwerttherme / Be- und Entlüftung über Bodenkanäle
  • Außenwände: Foamglas-Dämmung Haus-im-Haus, Bestand (Foamglas), Außenputzsystem + Anstrich (Caparol)
  • Außenverkleidung: Thermo-Esche (Fassade + Dach (Häussermann)
  • Innenverkleidung: Innenbekleidungen Dach und Giebel (Knauf AMF), Putze und Anstriche: Innendämmputz (Maxit),
  • Innenwände: Foamglas-Dämmung Haus-im-Haus, Bestand (Foamglas), Putz und Anstrich auf geschlämmter Wand (Caparol und Alligator), Innenfarben auf Wänden (Alligator)
  • Fenster: Holz-Alu-Fenster + Gläser: Aluschalen (Gutmann), Isoliergläser (Semcoglas Glastechnik) Dachfenster + Dachfensterrollos: Velux
  • Dach: Edelstahldach (Aperam/Uginox), Thermo-Esche (Häussermann), Dachziegel (Walther Dachziegel)
  • Fundamentplatte: Stahlbeton
  • Empore: Bestehende preußische Kappendecke mit Aufbeton
  • Gebäudehülle: Thermo-Esche (Fassade + Dach (Häussermann)
  • Materialbedarf (Holz): Rohholzoberflächen Haus im Haus (Clou)
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