Angeschwemmtes Seegras ist für Touristen entlang der Mittelmeerstrände oft etwas Ekeliges, doch der Rohstoff hat hervorragende Dämmeigenschaften.

Seegras gedeiht einfach unter Wasser und benötigt daher keine Anbaufläche. Es entsteht also ohne unser Zutun – und wir können es nutzen. Foto: Wikipedia/Ezu (Martino A. Sabia)

Je nach Meeresströmung entstehen aus den abgestorbenen Resten des Seegrases kleine Bälle, die dann an der Küste stranden. Diese Seegraskugeln, die auch als Neptunbälle bezeichnet werden, sind nicht nur sehr kompakt, sondern aufgrund ihrer Dichte extrem schwer entflammbar. Auch der 10 Jahre später verstorbene NeptuTherm-Firmengründer Prof. Richard Meier ist 2006 bei seinem Spanienurlaub auf diese „Strandbälle“ gestoßen und war davon derart fasziniert, dass er sich damit intensiv auseinandersetzte. Für ihn war dieser nachwachsende Rohstoff einfach zu wertvoll, um ihn als Abfall zu entsorgen. Denn es gibt eine Reihe weiterer Eigenschaften, die dieses Material als Dämmstoff auszeichnen sollten: Dadurch, dass sich Seegras ständig unter Wasser befindet, ist es von Natur aus resistent gegenüber Schimmel, und weil Neptunbälle lediglich einen Salzgehalt von 0,5 bis 2 Prozent haben, verrotten sie auch sehr langsam. Insofern lässt sich das Seegras ohne chemische Zusätze als Dämmwerkstoff nutzen – etwa zur Zwischensparrendämmung in Steildächern, zum Isolieren von Innenwänden oder um Wärmeverluste an der Gebäudehülle zu verringern. Die Fasern nehmen Wasserdampf auf, puffern ihn und geben ihn wieder ab, ohne dass die Wärmedämmfähigkeit beeinträchtigt wird.

Vom Ball zur Faser
Was bei einem gemütlichen Strandspaziergang begann, sollte sich allerdings noch zu einem langen und mitunter mühsamen Weg hin zur Verwertbarkeit in der Bauwirtschaft ausdehnen. Denn die Neptunbälle müssen vom anhaftenden Sand befreit werden. Hinzu kommt, dass sich die einzelnen Fasern leicht verhaken und sich sowohl beim Aufbereitungs- als auch beim späteren Einblasprozess schnell neue Agglomerate bilden. Geeignete Verfahren, um aus den Neptunbällen Dämmwolle zu produzieren, wurden jedoch mit dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal in Kooperation mit Partnerunternehmen aus der Industrie entwickelt. „Um möglichst lange, sandfreie Fasern zu erhalten, erwies sich das Abrütteln des Sandes als beste Lösung“, so Gudrun Gräbe, Wissenschaftlerin am ICT.


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Eine Geschossdecke wird mit NeptuTherm gefüllt. Foto: NeptuTherm

Meerfach nachhaltig

Der so produzierte lose Dämmstoff besitzt eine hohe Wärmespeicherkapazität. Der ermittelte Wert von 2,502 Joule pro Kilogramm Kelvin (J/kgK) liegt etwa 20 Prozent höher als bei Holz und Holzwerkstoffen. NeptuTherm zählt beim Schütten und Stopfen mit 37 kWh/m³ auch zu den Materialien mit dem geringsten Primärenergieverbrauch aller Dämmstoffe. Bei der Verarbeitung mittels Einblasen liegt der Wert bei immer noch sehr guten 50 kWh/m³. Und dies trotz der relativ langen Beschaffungswege. Im Gegensatz zu anderen natürlichen Dämmstoffen benötigt das Seegras allerdings keine Anbauflächen und die Ernte der Seegrasbälle schafft Wertschöpfung in wirtschaftlich noch weniger entwickelten Regionen. Schließlich ist das Recycling des Materials denkbar umweltschonend, denn die Fasern müssen lediglich aufgelockert werden, um dann als nahrhaftes Pflanzensubstrat im Garten zu dienen.

Dieses Gras hat es in sich
Die Posidonia oceanica kommt lediglich im Mittelmeer vor und flutet das Meer mit wertvollem Sauerstoff. Ihre Verbreitung ist ein Indikator für saubere Umweltbedingungen. Abgesehen davon, dass die Pflanzen Lebensraum für viele Meerestiere bieten, trägt das angespülte Seegras auch dazu bei, dass während der kalten und stürmischen Jahreszeit der Sand an den Stränden nicht von der Brandung abgetragen wird.

(tdu)

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